Die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges

Die Ursachen, die zum Zweiten Weltkrieg führen, liegen wie bemalte Glasscheiben übereinander. Ganz klar sieht man nur das bunte Bild auf dem obersten, zuletzt aufgelegten Glas. Das Bild auf der nächsten, darunter liegenden Scheibe ist noch erkennbar, doch schon erheblich matter. Die Bilder auf den unteren, älteren Glasplatten schimmern nur noch ganz schwach durch, doch ihre Farben und Konturen sind noch immer ein Teil dessen, was man von oben sieht. So zeigt das Oberflächenbild, dass 1939

  • Deutschland über Polen herfällt,
  • Russland sich die Hälfte Polens raubt,
  • Polen dabei nur das Opfer ist,
  • Frankreich und England den bedrängten Polen helfen
  • und die USA zu guter letzt die Helfer unterstützen und retten.

Doch schon das Bild darunter – von 1920 an – zeigt die schweren Menschenrechtsverletzungen an den 11 Millionen Menschen der nichtpolnischen Minderheiten im Vielvölkerstaat Polen. Die Drangsalierung der Millionen von Ukrainern, Deutschen und Weißrussen in Polen nimmt 1939 Formen an, dass schon sie allein ein Kriegsgrund für die Sowjetunion und Deutschland gegen Polen hätten sein können. Zum Bild auf dieser zweitobersten Glasscheibe gehören außerdem der deutsch-polnische Streit um Danzig und um freie Verkehrsverbindungen durch den „polnischen Korridor“ ins damals vom Reich abgetrennte Ostpreußen und die noch offene sowjetische Rechnung für die Gebiete der Ukraine und Weißrusslands, die ihnen Polen 1920 abgenommen hatte. Auf einer weiteren Schicht darunter sind die Rüstungswettläufe der Amerikaner, Briten und Japaner ab 1920 erkennbar, die Rüstungsaufholjagd der Sowjets ab 1930, die von den Franzosen bis 1933 blockierten Genfer Abrüstungsverhandlungen und dann die deutsche Wiederaufrüstung ab 1934. Aus den Schichten tieferer Gläser schimmern noch die Demütigungen bis oben durch, die die Siegermächte 1920 den Deutschen, den Österreichern und den Ungarn durch „Versailles“ und die entsprechenden Verträge bereitet hatten, die Kriegsvorbereitungen der Briten ab 1906 gegen das kaiserliche Deutschland die Rache der Franzosen für ihre 1871 erlittenen Gebietsverluste und die Demütigung der Polen bei den drei Teilungen ihres Staates aus der Zeit davor. Dieses alles und viel anderes mehr zeigt 1939 Wirkung.

Die folgenden Seiten sollen einen raschen Überblick über dieses schicksalshafte Kapitel deutscher Geschichte verschaffen. Die Einzelthemen widmen sich daher allein den Vorkriegsjahren und bieten Stoff für das Erstellen von Schularbeiten, Hausaufgaben, Seminar- oder Magisterarbeiten. Sie sind dem Schüler, der ein Referat vorbereitet, genauso ans Herz gelegt, wie dem Studenten, der sein Studium vertiefen, oder dem Lehrer, der sein Wissen erweitern möchte. Einen ausführlichen Überblick über den Inhalt dieser Seite finden Sie unter dem Menüpunkt „Zusammenfassung“.

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Zusammenfassung

Den Zweiten Weltkrieg kann man nicht vom Ergebnis her begreifen, sondern nur von seiner Vorgeschichte. Der Kriegsbeginn von 1939 ist ohne die Person des Diktators Hitler nicht zu begreifen. Hitler und die Bereitschaft der Deutschen, ihm in den Krieg zu folgen, sind ohne den Vertrag von Versailles unverständlich. Die allgemeine Empörung des deutschen Volkes über Versailles ist ohne die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs nicht zu verstehen. Und auch diese kann nur der begreifen, der das Konkurrenzgebaren der Staaten in Europa des 19. Jahrhunderts kennt. So muß man schon einen langen Anlauf nehmen, um den Kriegsausbruch von 1939 zu erklären.

Der Erste Weltkrieg war von einem Streit zwischen Österreich-Ungarn und den Serben ausgegangen, ausgelöst von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Ferdinand in Sarajewo 1914. Bündnisse und gemeinsame Interessen der Russen, Franzosen und Engländer mit den Serben auf der einen Seite und der Deutschen, Österreicher, Ungarn und Türken den auf der anderen Seite lassen den Mord am Erzherzog binnen fünf Wochen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs eskalieren. Der Krieg zieht sich vier Jahre hin und bringt England und Frankreich 1916 an den Rand der Niederlage. Russland wird sogar besiegt und scheidet 1917 aus dem Kriege aus. Danach greifen die USA mit frischen Truppen und einer leistungsfähigen Industrie im Hintergrund auf Seiten der Briten und Franzosen ein und bringen nun umgekehrt Deutschland und Österreich-Ungarn an den Rand der Nieder-lage. Doch vor dem völligen Zusammenbruch der deutschen und österreichisch-ungarischen Fronten vermittelt der amerikanische Präsident Wilson mit einem 14-Punkte-Vorschlag einen Waffenstillstand mit für Deutschland harten, aber akzeptablen Bedingungen.

Es kommt zum Waffenstillstand und der Konferenz von Versailles, die in fataler Weise Geschichte schreiben wird. Die Konferenz leitet nun nicht mehr Wilson, dessen 14-Punkte-Vorschlag die deutsche und österreichisch-ungarische Seite verleitet hatte, ihre Truppen von den Fronten abzuziehen und in der Heimat aufzulösen. Die Konferenz leitet der französische Ministerpräsident Clemenceau. Dieser erkennt die 14 –Wilson-Punkte soweit sie Deutschlands Nachkriegsrechte sichern sollten, nicht mehr an, und er läßt die deutsche Konferenzdelegation nicht zu den Verhandlungen zu. So verhandeln Briten, Franzosen, Amerikaner, Belgier, Polen und weitere 22 Siegerstaaten geschlossen unter sich. Sie beschließen die Abtrennung deutscher Gebiete und die Geld- und Sachreparationen, die Deutschland an sie abtreten, zahlen oder leisten soll. Sie legen die nach Versailles genannte Nachkriegsordnung für Europa zu den alleinigen Lasten der Besiegten fest.

Am 7. Mai 1919 werden die von den 27 Siegerstaaten festgelegten Bedingungen erstmals der deutschen Delegation eröffnet. Clemenceau überreicht sie mit den Worten: „Die Stunde der Abrechnung ist da.“ Die Bitte der deutschen Delegation, den „Vertrag“, den sie nun unterschreiben soll, vorher zu verhandeln, wird abgelehnt. Um dem Ausmaß ihrer Forderungen den Anschein von Berechtigung zu geben, versteigen sich die Sieger dazu, Deutschland und seinen Verbündeten die Alleinschuld am Ersten Weltkriegs zuzuschreiben. Der Vertrag verlangt von Deutschland eine große Zahl von Land- und Bevölkerungsabtretungen: Elsaß-Lothringen an Frankreich, die Provinzen Posen, fast ganz Westpreußen und das oberschlesische Industriegebiet an Polen, das Memelgebiet an den Völkerbund, das Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei, Nordschleswig an Dänemark, das Gebiet um die zwei Städte Eupen und Malmedy an Belgien und Danzig mit dem Umland als Freistaat an den Völkerbund. Der Vertrag stellt das Saargebiet für 15 Jahre unter Frankreichs Herrschaft. Er verbietet außerdem den Anschluß Rest-Österreichs an Deutschland, den die neue Wiener Nationalversammlung gleich nach dem Krieg gefordert hatte. Mehr als die Landverluste schmerzen die erzwungenen Bevölkerungsabtretungen. Die Ausgliederung von 7 Millionen Menschen aus dem Deutschen Reich und die Grenzen neuer Staaten trennen Millionen von Familien. Mit dem Vertrag verliert Deutschland seine Kolonien, zumeist an England. Die Streitkräfte werden auf 100.000 Mann im Heer und 15.000 in der Marine reduziert. Das Deutsche Reich muß den größten Teil der Handelsflotte und der Goldreserven an die Sieger übergeben, dazu einen Großteil seiner jährlichen Eisenerz- und Kohleförderung, Unmengen von Nutzvieh und Landwirtschaftsmaschinen, 150.000 Eisenbahnwaggons und viele tausend Lokomotiven und Lastkraftwagen. Das gesamte private Auslandsvermögen. und unzählige Industriepatente werden konfisziert. Die Geldzahlungen sind exorbitant und über 70 Jahre zu bezahlen. Deutschland wird sie, wie sich später zeigt, nie in voller Höhe zahlen können.

Im Deutschen Reich ist man bestürzt und tief enttäuscht. Man weiß noch zu gut wie man nach dem Krieg von 1870-71 selbst mit Frankreich umgegangen war. Frankreich, das den Krieg von 1870 verursacht und verloren hatte, musste damals zwar das überwiegend deutschsprachige Elsaß-Lothringen abtreten und 4 Milliarden Mark bezahlen, doch es behielt seine Armee, seine Flotte, die Kolonien und die Goldreserven. Die Parteien im Deutschen Reichstag lehnen das Diktat der Siegermächte deshalb zunächst geschlossen ab. Reichspräsident Ebert ( SPD ) sagt zu den Bedingungen:

„Das deutsche Volk trug alle Lasten im Vertrauen auf die durch die Note vom 5. November von den Alliierten gegebene Zusage, daß der Friede ein Friede des Rechts auf der Grundlage der 14 Punkte Wilsons sein würde. Aus solchem aufgezwungenen Frieden müsste neuer Haß zwischen den Völkern und im Verlauf der Geschichte neues Morden erwachsen.“

Die Lasten, die der Versailler Vertrag den Deutschen auferlegt, sind so außerordentlich und das spätere Entgegenkommen der Sieger ist so gering, daß daran – neben anderen Gründen – die junge Demokratie in Deutschland scheitert. Die Zwangsabgaben an Kohle, Düngemitteln, Nahrungsmitteln, Maschinen und Devisen führen zur Verelendung weiter Schichten der Bevölkerung und machen sie so unmittelbar betroffen, daß jede Partei und jeder Politiker, die Lösung oder Linderung versprechen, mit einem Hoffnungsbonus und mit Wahlerfolgen rechnen können. Die NSDAP wird später davon profitieren. Selbst die KPD erklärt im August 1930 :

„Wir erklären feierlich, daß wir im Falle unserer Machtergreifung alle sich aus dem Versailler Frieden ergebenden Verpflichtungen für null und nichtig erklären werden.“

Mit den drei äußerst populären Versprechen, die von Deutschland abgetrennten Deutschen „heim ins Reich“ zu holen, die „Fesseln von Versailles zu sprengen“ und die Arbeitslosig-keit zu überwinden, schaffen die Nationalsozialisten 1933 ihren Wahlsieg und ihre so genannte Machtergreifung.

In den Jahren bis 1939 wird zuerst 1935 das Saarland wieder an Deutschland angeschlossen. 1936 läßt Hitler im Rheinland wieder deutsche Truppen stationieren. 1938 folgt der von den Österreichern mehrheitlich gewünschte Anschluß an Deutschland. Im selben Jahr setzt Hitler – hier erstmals mit der offenen Drohung von Gewalt – den Anschluß von 3 Millionen Sudetendeutschen und der Sudetenlande an das Deutsche Reich durch. Alle diese Korrekturen des Versailler Vertrags erfolgen zum deutlichen Missfallen der Siegermächte. Doch jeder Krug geht nur so lang´ zu Wasser bis er bricht. Im März 1939 zerfällt die Tschechoslowakei in drei getrennte Staaten. Einem davon, der Rest-Tschechei, zwingt Hitler ein Protektorat auf. Er läßt das Land von deutschem Militär und Polizei besetzen. Die Tschechen sind zwar bis 1918 über 900 Jahre Angehörige des Deutschen Reichs gewesen, aber sie sind keine Deutschen, die „heim ins Reich“ zu holen waren. Hitler hat hier zum ersten Mal ein fremdes Volk unterworfen und damit den bisher geraden Weg seiner legitimen deutschen Außenpolitik verlassen. Nun hat alle Welt einen einsehbaren Grund, ihm weitere Expansions- und Kriegsabsichten zu unterstellen.

Nun zum deutsch-polnischen Verhältnis. 1918 bleiben eine Anzahl polnischer Gebietsforderungen an Deutschland unerfüllt. So verlangen die Polen in Versailles zusätzlich ganz Oberschlesien, Ostpommern, Ostpreußen sowie das Memelland für sich. Die Forderungen nach Ostpreußen verstummt in den polnischen Zeitungen nicht einmal bis 1939. Alle polnischen Regierungen verlangen von den deutschen die Anerkennung ihrer Gebietsgewinne von 1918 bis 1921, doch keine Reichsregierung geht auf dies Verlangen ein. Alle Regierungen vor Adolf Hitler halten die Grenzfragen gegenüber Polen offen. Erst Hitler wird diese Anerkennung später als Gegenleistung für die Rückkehr Danzigs offerieren. Ab 1934 kommt es zu einer deutsch-polnischen Normalisierung und zum Abschluß eines Deutsch-Polnischen Freundschaftsvertrags. Als im Oktober 1938 die Sudetenlande Deutschland angeschlossen werden, erbittet die polnische Regierung Hitlers Einverständnis, daß Polen das kleine tschechische Industriegebiet von Teschen annektieren darf. Hitler läßt den Polen freie Hand. Er hofft dafür auf ein Entgegenkommen bei den noch offenen polnisch-deutschen Differenzen: der Angliederung Danzigs an Deutschland, den exterritorialen Transitwegen nach Ostpreußen und der Einhaltung der Menschenrechte der deutschen Minderheit in Polen.

Nach Hitlers Teschen-Einverständnis versucht die Reichsregierung die deutsch-polnischen Probleme in sechs Anläufen auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Des erste deutsche Vorschlags vom Oktober 1938 ist das Angebot, für die Zustimmung zu den drei deutschen Wünschen Danzig, Transitwege und Garantie der Menschenrechte für die deutsche Minderheit die polnischen Gebietserwerbungen in Schlesien, Westpreußen und Posen als endgültig anzuerkennen. Um diese Anerkennung hatte Polen stets gebeten. Man verhandelt im November 1938 und im Januar 1939, doch außer der polnischen Bekundung, nach Lösungen zu suchen, bewegt sich nichts. Bei den Januar-Gesprächen erweitert Hitler seinen Kompromissvorschlag mit der Formel: „Danzig kommt zur deutschen Gemeinschaft und bleibt wirtschaftlich bei Polen.“ Da Danzig Völkerbundsmandat ist und nicht polnisch, ist diese Formel in der Tat ein Kompromiß. Im März 1938 zerfällt die Tschechoslowakei, und Polen will auch davon profitieren. Hitler weiß das, doch er macht die Rest-Tschechei zum Protektorat, schließt ein Bündnis mit der neu entstandenen Slowakei und läßt die Polen unberücksichtigt. Die Welt ist über Hitlers Tschechei-Protektorat empört, und Polen ist erzürnt, daß es leer ausgegangen ist. In diese Zeit fällt Hitlers vierter Versuch, mit Polen über Danzig zu verhandeln. Polen aber nutzt die Empörung der Engländer über Hitler, wird in London wegen eines Beistandspaktes vorstellig, der ihm auch zugesichert wird, ruft 330.000 Reservisten zu den Waffen und läßt Kampfverbände in Richtung Danzig aufmarschieren. Hitler, der bisher auf eine Verständigungslösung mit den Polen hingearbeitet hat, ist von diesen kriegerischen Drohgebärden Polens überrascht. Er kündigt den Freundschaftsvertrag von 1934, den er nun von den Polen als gebrochen ansieht, und gibt dem Oberkommando der Wehrmacht am 3. April 1939 die Weisung, einen Angriff gegen Polen vorzubereiten, und zwar so, daß er ab dem 1. September begonnen werden kann.

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Die britisch-deutsche Rivalität 1900-1914

Viele englische Politiker z. B. die Premierminister Winston Churchill und John Major sahen den Ersten und den Zweiten Weltkrieg als eine historische Einheit, in der es um die Vorherrschaft in Europa ging. Sie sprachen deshalb auch von einem „Zweiten Dreißigjährigen Krieg“ von 1914 bis 1945. Ich will dieser plausiblen Logik folgen.

Eine der Ursachen für den Zweiten Weltkrieg liegt in der deutsch-britischen Rivalität, die sich seit etwa der Jahrhundertwende von 1900 entwickelt. Mit der deutschen Einigung von 1871 entsteht ein Wirtschaftsraum von erheblicher Dynamik. Von 1880 bis 1907 zum Beispiel vervierfacht Deutschland seine Steinkohleförderung und schließt damit fast zu England auf. An Stahl erzeugt Deutschland 1907 bereits doppelt so viel wie man in England produziert. Dementsprechend entwickelt sich auch der Außenhandel Deutschlands. Obwohl London 1887 mit der „Merchandise marks act“ den Versuch macht, deutsche Exporte mit dem Verbraucherwarnhinweis „Made in Germany“ einzudämmen, wächst der deutsche Außenhandel von 1887 bis 1907 um 250 Prozent, während der englische in den gleichen 20 Jahren nur um 80 Prozent steigt. Auch Frankreich wird in diesem Zeitraum wirtschaftlich von Deutschland abgehängt. Damit ist für England die „balance of power“ auf dem Kontinent bedroht.

In Kenntnis dieser Entwicklung argwöhnt man in England, Deutschland strebe danach, ganz Europa zu beherrschen. Deutschlands Wirtschaftsaufstieg und seine Konkurrenz werden in England vor dem Ersten Weltkrieg als Bedrohung angesehen. So bemühen sich die englischen Regierungen seit 1904, das Deutsche Reich auf dem Feld der Außenpolitik zu isolieren.

Am 1. Januar 1907 verfaßt ein Beamter des englischen Außenministeriums, Sir Eyre Crowe, eine Denkschrift, in der er schreibt, nun und in Zukunft hieße der einzige potente Gegner Englands Deutschland. Die Deutschen strebten mit Konsequenz und Energie nach der Vorherrschaft in Europa. Sie werden zum Schluß Groß Britannien zerbrechen, um sich an seinen Platz zu schieben.

Englands Vertragspolitik

England und Frankreich schließen 1904 eine „Entente cordiale“, mit der sie zunächst nur ihre kolonialen Interessen koordinieren. Doch 1906 schon vereinbaren die Kriegs- und Außenminister beider Staaten, die Militäraktionen beider Länder für die Zukunft aufeinander abzustimmen. 1911 sagt der englische Generalstabschef dem französischen Kollegen sechs Heeresdivisionen für den Fall eines Kriegs mit Deutschland zu. So legt sich England gegen Deutschland fest, ohne daß von letzterem auch nur die leiseste Drohung mit einem Kriege ausgegangen wäre. Und Frankreich kann ab 1911 mit Englands Hilfe rechnen, und im Falle einer Spannung mit Deutschland dementsprechend pokern.

Im August 1907 schließen England und Russland einen Vertrag, in dem sie ihre „Einflußzonen“ in Afghanistan und Persien markieren. Bereits im November 1907 reist der Oberbefehlshaber des englischen Heeres nach Sankt Petersburg, um dort mit russischen Generalen und Ministern über weit mehr als nur Afghanistan und Persien zu sprechen. Er legt den Russen nahe, ihre Truppen an der Westgrenze gegenüber Deutschland zu verstärken. So zieht Großbritannien auch hier die Fäden gegen Deutschland, das außer Wirtschaftsexpansion zu der Zeit keine anderen, vor allem keine territorialen Ziele hat.

Das Flottenwettrüsten

Ein verhängnisvolle Fehler, den Deutschland gegenüber Englands Machtanspruch begeht, ist es, den eigenen Aufschwung mit einer maritimen Komponente zu versehen. Kaiser Wilhelm II. läßt ab 1898 eine Flotte bauen, die über die bisher betriebene Küstenverteidigung hinaus die Handels- und Überseeverbindungen bei internationalen Krisen oder im Verteidigungsfall vor Unterbrechungen schützen soll. Der deutsche Flottenbau soll sowohl Deutschland befähigen, im Rennen der modernen Staaten um Märkte und Einfluß in der Welt Schritt zu halten als auch, eine neue Position gegenüber England aufzubauen. Deutschland will damit erstens seine Fischfangflotte vor den rüden Übergriffen der englischen Fischer schützen. Es will zum zweiten seinen Im- und Export über See und damit einen Großteil seiner Wirtschaftsadern von Englands „Gnaden“ lösen. Deutschland will sich zum dritten militärisch gegen Englands Flotte sichern, dabei vor allem gegen deren Seeblockademöglichkeiten. Und die deutsche Politik hofft viertens, mit einer angemessenen Flotte ein interessanter Bündnispartner für Großbritannien zu werden. Admiral von Tirpitz und die Marineleitung entwickeln die Vorstellung, daß eine deutsche Kriegsmarine in Stärke von etwa 60% der englischen der Königsweg zur Lösung der vier gesteckten Ziele ist: dem Schutz der Nordsee-Fischerei, des eigenen Handels auf den Meeren, dem Schutz vor Seeblockaden und der Bündnisfähigkeit mit England. Mit einer solchen 60%-Flotte kann man nach Tirpitz’ Überzeugung Englands Sicherheit und Seeherrschaft nicht in Wirklichkeit gefährden. Außerdem, so kalkulieren Admiral von Tirpitz und der Kaiser, könnte Großbritannien im Falle eines Krieges mit seinen zwei Kolonialrivalen Frankreich und Rußland, die nach England die nächststarken Marinen unterhalten, ein Interesse an einem Bündnis mit dem flottenstarken Deutschland haben. Doch diese Rechnung geht nicht auf.

Das rasche deutsche Wirtschaftswachstum und die deutsche Handelskonkurrenz auf dem Festland und in Übersee lassen sich nicht mit einem Krieg bekämpfen, ohne dabei den Makel der Schuld an einen solchen Krieg zu übernehmen, es sei denn, man spielt die Kriegsschuld Deutschland zu. So wird der deutsche Flottenbau in Englands öffentlicher Meinung zu einem Kriegsgrund aufgebaut und Deutschland unterstellt, nach Weltherrschaft zu streben.

Englands Feindbild

Erkennbar wird die deutsch-englische Entfremdung auch an dem Wandel des Bildes, das die Historiker in England von der Geschichte ihres deutschen Nachbarn zeichnen. Politisch im besonderen wirksam ist das Bild, das sich die englischen Historiker von Preußen machen. Bis etwa 1910 beherrschen die für ihre Zeit sehr liberalen, effizienten und auf die Rechte ihrer Bürger achtende Preußenkönige, das tüchtige Militär und der Patriotismus von Steins und Hardenbergs die Szene. Danach verkehrt sich das bis dahin so positive Preußenbild in das Image eines Preußen als Hort der Unfreiheit, der Obrigkeitshörigkeit, des Militarismus und der Gewalt. Dies Preußen wird pars pro toto mit ganz Deutschland gleichgesetzt und stellt als solches in den Augen vieler britischer Historiker den Gegensatz zum positiv gesehenen liberal-parlamentarischen England dar. Der „Teutone“, vor Jahrzehnten noch Ahnherr der Deutschen und der Briten, wird im Ersten Weltkrieg sogar zum Schimpfwort für die Deutschen, und das Preußentum zur „Bedrohung der Zivilisation“. Der Unterstaatssekretär im Londoner Außenministerium Sir Charles Hardinge schreibt in einer Denkschrift vom 30. Oktober 1906:

„Man muß ganz allgemein zur Kenntnis nehmen, daß Deutschland infolge seiner ehrgeizigen Pläne für eine Weltpolitik, eine maritime Vorherrschaft und eine militärische Vorherrschaft in Europa der einzige Störfaktor ist.“

Die Marokkokrisen und der Bau der Bagdadbahn

Englands klare Position an Frankreichs Seite und gegenüber Deutschland zeigt sich 1904-06 und 1911 in den zwei Marokkokrisen und ab 1900 beim Bau einer deutschen Eisenbahn nach Bagdad im Irak. In Marokko versucht Frankreich, dieses bis dahin souveräne Land in sein Kolonialreich einzugliedern, was die deutschen Handelskonzessionen und Bergbaurechte dort gefährdet. Frankreich bricht mit diesem Vorgehen zwar einen Vertrag von 1880, doch England steht trotzdem auf Frankreichs Seite und antwortet auf die Entsendung eines kleinen deutschen Kriegsschiffs nach Agadir mit der Drohung, notfalls mit Frankreich gegen Deutschland in den Krieg zu ziehen. Es geht England offensichtlich darum, Frankreich als Gegenkraft zu Deutschland stark zu machen, und es geht um die ernst gemeinte Warnung, der deutschen Konkurrenz bei weiterer Rührigkeit mit Krieg ein Ende zu bereiten.(Einzelheiten dazu siehe unter dem Stichwort „Marokko-Krisen“)

Ein weiterer Reibungspunkt zwischen Berlin und London bildet sich beim Bau einer Eisenbahn in die Türkei, mit der sich Deutschland zunächst den Wirtschaftsraum Kleinasien erschließt. Als etwa 1900 der Bahnbau in Richtung Bagdad fortgesetzt wird und zu der Zeit Erdöl beiderseits der Trasse im Raum Mossul entdeckt wird, gerät Deutschland unversehens in Konflikt mit Englands neuen Ambitionen auf die Erdölfelder in Persien, Irak und Kuwait.

(Einzelheiten dazu siehe unter dem Stichwort Bagdadbahn )

So gibt es 1914 , als sich nach dem Mord an Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajewo der Konflikt zwischen Serbien und Habsburg entzündet, zahlreiche Großmächte, die sofort Partei ergreifen und sich auf der einen wie der anderen Seite hinter die beiden Kontrahenten stellen: Russland und Frankreich hinter Serbien und Deutschland hinter Österreich. England hatte mehrmals vorher angekündigt, im Falle eines Krieges Frankreich gegen Deutschland auf der Seite der Franzosen gegen Deutschland mitzukämpfen. Trotzdem gibt es für einen kurzen schicksalsschweren Augenblick die Chance, daß Großbritannien dem Ersten Weltkrieg fernbleibt. ( Siehe dazu unter Stichwort Sarajewo und die Kettenreaktion ) Doch Großbritannien erklärt dem Deutschen Reich den Krieg. Die Briten bringen hohe Opfer und entgehen einer Niederlage nur Dank des Kriegseintritts der USA auf ihrer Seite im Jahre 1917.

Welche Ziele konnten es dann wert sein, die Männer Englands 1939 erneut in einen Weltkrieg gegen Deutschland marschieren zu lassen? 1919, wenige Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs, findet sich dazu in der angesehenen britischen Tageszeitung „TIMES“ folgende, verblüffend ehrliche Notiz: „Wenn Deutschland in den nächsten 50 Jahren wieder Handel zu treiben beginnt, ist dieser Krieg umsonst geführt worden .“

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Die französisch-deutsche Rivalität 1872-1914

Elsaß-Lothringen

Die Spannungen zwischen Deutschen und Franzosen, die das Verhältnis beider Völker 1914 prägen, haben tiefe Wurzeln. Schon 1555 beginnen die Könige von Frankreich, ihr Staatsgebiet nach Osten zum Rhein hin auszudehnen. Sie nutzen innerdeutsche Streitigkeiten und den Druck der Türken auf das Reich, um sich zuerst die deutschen Festungsstädte Metz, Toul und Verdun, dann zehn elsässische Städte, dann Teile Lothringens und zum Schluß das ganze Elsaß anzugliedern. Die deutsche Muttersprache der Elsässer Bevölkerung ist den Franzosen dabei kein Hinderungsgrund. Der französische Versuch, dann auch noch das damals deutsche Luxemburg zu annektieren, mißlingt jedoch. Im 30jährigen und im Pfälzischen Krieg nutzt Frankreich die Gelegenheiten, in Deutschland einzudringen und in Kurpfalz und Baden-Durlach ein Gebiet von 160 Kilometer Länge und etwa gleicher Breite einzuäschern. Dörfer, Felder, Weinberge und Städte werden abgebrannt, dabei Heidelberg, Worms, Bingen, Mannheim, und Speyer. Die Franzosen schaffen damit einen Ödlandgürtel, der verhindern soll, daß die Annexion des Elsaß je von deutschem Boden aus rückgängig gemacht werden kann. Der Vandalismus der Franzosen in der Pfalz hinterläßt in Deutschland ein Frankreichbild, das bis zum Zweiten Weltkrieg mit dem bösen Wort vom Erbfeind in Erinnerung bleibt. In Norddeutschland ist es die französische Besatzungszeit der Jahre 1806 bis 13, die mit hohen Kontributionen, Steuerlasten, Einquartierungen und dem Zwang, an Napoleons Kriegen teilzunehmen, ein unangenehmes Bild der Franzosen hinterläßt.

1870 versucht Frankreich ein weiteres Mal, sich das damals deutsche Luxemburg, die Pfalz und das Saarland anzugliedern und seine Grenze zum Rhein hin vorzuschieben. Es verursacht, erklärt, beginnt und verliert den Krieg mit Deutschland und muß dafür mit der Abtretung Elsaß-Lothringens bezahlen. Deutschland seinerseits zahlt mit dem Haß der Franzosen und damit, daß Frankreich nun ein neuer Kriegsgrund gegen Deutschland bleibt. Der Wechsel Elsaß-Lothringens zwischen beiden Nachbarländern ist stets ohne das Votum der Betroffenen erfolgt. Volksabstimmungen zur Zugehörigkeit sind 1681, 1766 und 1871 noch nicht üblich. 1872 kann die Bevölkerung „optieren“. 10,3% bekennen sich zu Frankreich und 5 % wandern dorthin ab. Doch die Stimmung in beiden Landesteilen bleibt lange pro-französisch.

Frankreich sucht sich rechtzeitig Verbündete, um Elsaß und Lothringen bei Gelegenheit zurückzuholen. 1894 schließt es den Zweibund mit Rußland. 1912 gibt Präsident Poincaré der russischen Regierung die Zusicherung, daß Frankreich Rußland militärisch unterstützen werde, gleichgültig, ob Rußland angegriffen werde oder selbst den Krieg beginne. Frankreich schließt 1904 die „entente cordiale“ mit Großbritannien und holt sich 1911 die Zusage Englands auf Heeresunterstützung für den Fall des Krieges mit dem Deutschen Reich. Damit stehen Frankreich zwei mächtige Verbündete zur Seite, Großbritannien und Russland.

Die Rivalität in den Kolonien

Neben dem Elsaß-Streit ist es der Wettlauf um die letzten „offenen“ Kolonien, der die französisch-deutsche Nachbarschaft vergiftet. Das Rennen um die Kolonien ist um die Jahrhundertwende 1900 weltweit noch voll im Gange. Bei dieser Jagd nach Überseegebieten kommt Frankreich in Marokko in Konflikt mit Deutschland. 1880 waren im Vertrag von Madrid dem Sultan von Marokko die Souveränität in Tanger und Deutschland freie Handelsrechte im ganzen Land zugesichert worden. Als Paris versucht, sich auch das Gebiet von Tanger anzueignen, will die deutsche Reichsregierung den französischen Vertragsbruch und den eigenen Nachteil so nicht schlucken. Kaiser Wilhelm II. begibt sich persönlich mit seiner Yacht nach Tanger und protestiert dort in Absprache mit der Reichsregierung gegen das französische Bemühen, ganz Marokko inklusive Tanger „friedlich zu durchdringen“, wie das die Franzosen nennen. Das Ergebnis dieser Intervention in der Ersten Marokko-Krise von 1904 bis 05 ist ein deutsch-französischer Vertrag, in dem sowohl das „besondere politische Interesse“ Frankreichs an Marokko anerkannt als auch Deutschland eine Beteiligung an der wirtschaftlichen Erschließung des Landes zugestanden wird. Doch der Kompromiß ist nicht einmal ein halber Sieg. Dafür ist der Preis zu hoch. Deutschland rutscht mit dem Marokko-Streit in eine internationale Isolation, die sich bis 1914 nicht mehr löst. Deutschland besteht zwar mit Recht auf dem noch gültigen Vertrag von Madrid, aber England und Italien stellen sich hinter Frankreich, weil sie sich dafür vorher freie Hand für eigene koloniale Pläne eingehandelt haben. So bleibt der Kompromiß um Marokko eher ein Sieg für Frankreich.

1911 in der Zweiten Marokko-Krise geht der nächste Punkt an Frankreich. Die französische Regierung läßt Marokko unter dem Vorwand, dort bei inneren Unruhen für Ordnung sorgen zu müssen, von eigenen Truppen besetzen. Paris erklärt Marokko zu seinem Protektorat, was nichts anderes bedeutet, als daß nun auch Marokko zu Frankreichs Kolonien zählt. Was folgt, ist in der Schilderung des deutsch-britischen Verhältnisses zum Teil bereits erwähnt. Das deutsche Kanonenboot Panther läuft Agadir an. Deutschland verlangt von Frankreich Kompensation im Kongo und erhält für den Verlust des deutschen Handels in Marokko ein Stück Französisch Kongo, das Deutsch Kamerun als Grenzland zugeschlagen wird. Ein bedeutungsloser Landgewinn drei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Viel schwerer wiegt dagegen der Ärger der Franzosen über Deutschlands neue Konkurrenz in Afrika.

So schieben sich in Frankreich viele Gründe aufeinander, mit Deutschland abzurechnen. Es ist der Wille, Elsaß und Lothringen wiederzugewinnen. Es ist der Ärger über den kolonialen Mitbewerber Deutschland, und es ist die Sorge, daß der deutsche Nachbar als Land- und neue Seemacht weiter stärker werden könnte. In Deutschland ist man sich zwar des tiefen Grolls bewußt, den die Franzosen wegen des Verlusts von Elsaß und Lothringen hegen, aber ein Gefühl von Unrecht hat man in Deutschland deshalb nicht. Landabtretungen nach verlorenen Kriegen sind damals üblich. Und die eroberte Bevölkerung ist nach der Muttersprache überwiegend deutsch. Vor dem Ersten Weltkrieg sprechen im Elsaß und in Lothringen immerhin noch 1,3 Millionen Bürger Deutsch; Französisch dagegen nicht ganz 200tausend. Aus deutscher Sicht werden Elsaß und Lothringen deshalb auch nicht als Anlaß für den Krieg begriffen. Der liegt für jedermann erkennbar 1914 auf dem Balkan. Die furchtbare Rache, die die Franzosen nach dem Kriege an den Deutschen nehmen, stößt deshalb in Deutschland auch auf kein Verständnis. Hitler wird vom Unmaß dieser Rache profitieren.

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Die Marokko-Krisen 1904 und 1911

Deutsch-französische Handelsrivalität in Marokko

Englands klare Position an Frankreichs Seite zeigt sich 1904 und 1911 in den sogenannten zwei Marokkokrisen. In beiden geht es darum, daß Paris versucht, seinen Einfluß auf Marokko auszudehnen, und daß es dabei den Vertrag von Madrid von 1880 bricht, in dem die Souveränitätsrechte des Sultans von Marokko und deutsche Handelskonzessionen festgeschrieben worden waren.

Die Erste Marokkokrise

Die erste dieser beiden Krisen entsteht, als 1904 ein französisch-englischer Geheimvertrag bekannt wird, in dem die Briten den Franzosen die alleinige „friedliche Durchdringung Marokkos“ überlassen. Paris sichert London dafür „freie Hand in Ägypten“ und 30 Jahre Handelsfreiheit in Marokko zu. Die deutsche Reichsregierung glaubt nun, ihre in Madrid verbrieften Wirtschaftsrechte und die Hoheitsrechte des Sultans durch einen Einspruch erhalten zu können. Kaiser Wilhelm II. , 1905 gerade mit seiner Yacht im Mittelmeer auf Reisen, läuft in Absprache mit der Reichsregierung den Hafen Tanger an und verlangt vor Ort demonstrativ die Einhaltung der Vertrages von Madrid.

Die an Marokko interessierten Mächte legen daraufhin 1906 den Konflikt auf einer Konferenz in der südspanischen Stadt Algeciras bei. Nach der Akte von Algeciras darf Frankreich Marokko fortan „friedlich durchdringen“ und Deutschland bekommt die „offene Tür“ für seinen Marokko-Handel zugestanden.

Die Zweite Marokko-Krise und der Panther-Sprung nach Agadir

Die Zweite Marokkokrise von 1911 – drei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg – geht mit dem „Panthersprung“ in die Geschichte ein. Der Vorfall zeigt, daß Großbritannien schon jetzt bereit und willens ist, selbst um eine Nichtigkeit wie diese in einen Krieg mit Deutschland einzutreten. 1911 nimmt Paris den zweiten Anlauf innerhalb nur weniger Jahre, Marokko in sein Kolonialreich einzugliedern. Das Außenministerium in Berlin, aus Angst, den deutschen Handel und die Bergbaukonzessionen in Marokko zu verlieren, weist ein deutsches Kriegsschiff namens Panther an, den Hafen von Agadir außerhalb der französischen Besatzungszone anzulaufen und dort zur Wahrung deutscher Interessen „Flagge“ zu zeigen. Die „Panther“, ein kleines Mehrzweckschiff zum Fluß- und Küstendienst in deutschen Kolonien, ist zu der Zeit reif zur Überholung und deshalb auf dem Rückweg von Westafrika zur Werft in Deutschland. Es läuft Kurs Casablanca, um dort Kohlen für die Weiterfahrt zu bunkern, wird aber vorher umgeleitet. So legt die Panther fast ohne Treibstoff und reif für die Instandsetzung am 1. Juli 1911 in Agadir im Hafen an. Die englische Regierung bewertet das sogleich als gewaltsame Demonstration deutscher Macht in Übersee und unterstellt der Reichsregierung, sie wolle einen deutschen Kriegshafen in Agadir anlegen lassen. Die britische Regierung fordert die deutsche zur Stellungnahme auf, doch ehe diese eingeht, bezieht sie selber Stellung. Ein Teil der Royal Navy wird mobil gemacht, der Kohlevorrat für die Schiffe der Marine wird ergänzt, und Schatzkanzler Lloyd George erklärt am 21. Juli im Namen der englischen Regierung, „daß sein Land im Falle einer deutschen Herausforderung an der Seite Frankreichs in den Krieg ziehen werde.

Die Regierungen in London und Paris hatten sich offensichtlich 1904 bereits ohne Wissen der Regierung in Berlin darauf verständigt, daß Marokko französisches Interessengebiet sei und daß England dafür freie Hand in Ägypten und Sudan bekomme. Da stören deutscher Handel und deutsche Bergbaurechte in Marokko. Doch ein Streit zwischen den Franzosen und den Deutschen um ein paar deutsche Rechte in Marokko und das Erscheinen eines kleinen Kolonialdienstschiffes sind an sich kein Grund, mit Krieg zu drohen. Es geht England erneut darum, Frankreich als Gegenkraft zu Deutschland stark zu machen und es geht um die ernst gemeinte Warnung, der deutschen Konkurrenz bei weiterer Rührigkeit mit Krieg ein Ende zu bereiten.

Im Deutschland der Jahre 1914 und 1918 begreift noch kaum jemand den Aufstieg des eigenen Landes in Industrie und Handel als Grund für einen Krieg. Auch solche Krisen, wie die beiden in Marokko, bei denen Deutschland lediglich versucht, ein letztes Stück vom kolonialen Kuchen abzukriegen, hinterlassen bei den Deutschen kein Gefühl von deutscher Schuld. Sie nähren höchstens die Befürchtung, sich in der Welt zu isolieren. Schließlich hat das Deutsche Reich – anders als das Britische Imperium der letzten 20 Jahre – kein anderes weißes Volk angegriffen und ihm Kolonien abgejagt.

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Die Bagdadbahn 1900-1914

Das Osmanische Reich als Wirtschaftsraum für Deutschland

Deutschland tritt auch im Nahen Osten als neuer Konkurrent für England auf; zunächst im Handel und ein paar Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs auch bei dem Versuch, die frisch entdeckten Erdölquellen des damals noch osmanischen Irak zu nutzen. Ab 1888 , schon zehn Jahre bevor das englische Interesse für die Golf-Region erwacht, bemühen sich deutsche Industrielle und Bankiers, das Osmanische Reich als Wirtschaftsraum für Deutschland zu erschließen. Die deutschen Aktivitäten in dieser Richtung – zunächst ohne weitere außenpolitische Bedeutung – werden zu einem Tanz auf dem Vulkan, sobald man zwischen Mossul und Kuwait Erdöl entdeckt.

Bis zur Jahrhundertwende um 1900 fördern nur die USA, Mexiko und Rußland Erdöl in nennenswerten Mengen. Die neue Energie verändert schnell die Technik. Ab 1870 schon gibt es Schiffe, die mit Erdölfeuerung statt mit Kohle fahren, wodurch sich der Aktionsradius solcher Schiffe vervierfacht, was für die Handelsflotten und die Kriegsmarinen ein epochaler Fortschritt ist. Als 1883 der Benzinmotor und 1893 der Dieselantrieb erfunden werden, bekommt der Besitz von Erdölquellen endgültig wirtschafts- und gegebenenfalls auch kriegsentscheidende Bedeutung.

Das britische Protektorat Kuwait

Die Seemacht England – um das Jahr 1900 noch ohne eigene Erdölquellen – bemüht sich zu der Zeit, im damals osmanischen Irak und in Persien Fuß zu fassen und sich die dort gerade erst entdeckten Erdölvorkommen zu sichern. 1899 schließen die Briten mit dem Scheich von Kuwait einen Vertrag, in dem der verspricht, daß weder er noch seine Erben jemals Verträge über die Niederlassung dritter Mächte in Kuwait unterzeichnen werden. 1901 entsendet London Kriegsschiffe nach Kuwait und zwingt die osmanische Regierung, zu deren Reich Kuwait gehört, ein britisches „Protektorat“ über das Scheichtum Kuwait zu akzeptieren. 1913 läßt sich England außerdem die dortigen Erdölförderkonzessionen gegen Geldgeschenke vom Scheich von Kuwait übertragen. Im selben Jahr kauft die Londoner Regierung die Aktien-mehrheit an der persischen Erdölgesellschaft. Als Folge der Erwerbungen in Persien und des „Protektorats“ über das damals noch osmanische Kuwait betrachtet England die Golf-Region schon bald nach der Jahrhundertwende als seine wesentliche Einfluß- und Interessensphäre.

Die Anatolische Eisenbahn

Zehn Jahre bevor die Briten Kuwait für sich entdecken – nämlich 1889 – beginnen deutsche Unternehmer und Bankiers ein wirtschaftliches Großprojekt in gleicher Richtung, den Bau der Eisenbahn von Istanbul nach Ankara. Die deutsch-türkische Zusammenarbeit trägt Früchte, und 1890 schließen die deutsche und die osmanische Regierung einen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag, der drei Jahre später dazu führt, daß der osmanische Sultan Abdul Hamid II. der Deutschen Bank anbietet, eine weitere Strecke von Eskischehir nach Konya zu bauen. 1896 ist die Bahn bis Konya fertig. Noch ahnt niemand, daß sie in eine Richtung läuft, in der in Kürze Öl gefunden wird. 1898 bietet Abdul Hamid II. Kaiser Wilhelm II. an, daß deutsche Firmen die Bahn von Konya über Bagdad bis Basra und an den Persischen Golf ausbauen. Als 1903 jedoch der Bau der Bagdadbahn beginnt, sitzen die Briten schon zwei Jahre mit Militär und Ölfachleuten in Kuwait, nur 100 Kilometer südlich von Basra, wohin die deutsche Bahn nach Fertigstellung führen soll.

Die Finanzierung der Bagdad-Bahn

Die deutsche Reichsregierung sieht bereits sehr früh, daß das Bagdadbahn-Projekt ohne die Billigung der Regierungen in London und Paris zu Schwierigkeiten führen wird. Die Deutsche Bank weiß außerdem, daß die Bahn ohne englische und französische Kapitalbeteiligung so gut wie nicht zu finanzieren ist. So reist Kaiser Wilhelm II. schon 1899 zu seiner Großmutter Queen Victoria nach London, um sie zu bitten, daß sich Londons Banken am Bau der Bahn beteiligen. Auch die Deutsche Bank versucht, Kapital in Paris und London aufzutreiben. Es gibt jedoch in Frankreich nur ein geringes und in England gar kein Echo. Der englische Premierminister Lord Balfour sagt zwar zunächst die britische Beteiligung zu, doch er muß sie später widerrufen, weil das Unterhaus und Englands Presse den Bau der Bahn aufs Schärfste kritisieren. So bleiben die Mitfinanzierungen aus London und Paris gering. Statt dessen gibt es 1903 in Englands Presse eine äußerst heftige Kampagne gegen das deutsch-osmanische Projekt, die Bahn nach Bagdad, die letztendlich bis zum Golf von Persien führen soll.

Erdölkonzessionen entlang der Bagdadbahn

Die Trasse der Bagdadbahn führt über die Stadt Mossul, um die herum man um die Jahrhundertwende reichlich Öl entdeckt. 1912 überschreibt die türkische Regierung der Deutschen Bank die Konzessionen für alle Erdöl- und Mineralvorkommen 20 Kilometer beiderseits der Bahn bis Mossul als Kompensation für ihre Kosten beim Bau der Eisenbahn. So eröffnet sich für Deutschland mit der Bagdadbahn nicht nur die Erschließung eines neuen Marktes, sondern auch die Aussicht auf ein reiches Erdölfeld zur eigenen Verfügung, was für seine industrielle und wirtschaftliche Entwicklung ausgesprochen wichtig ist.

Deutsch-englische Rivalität im Zweistromland

Deutschland ist im Begriff, sich mit der neuen Eisenbahn nach Bagdad und in die anatolische Türkei auch den Irak als Wirtschaftsraum zu öffnen. Das Mittel dazu, die alten Karawanen-routen zu modernen und leistungsfähigen Transportwegen auszubauen, bindet den Nahen Osten an Europa an. Was hier so positiv erscheint, hat jedoch zwei negative Seiten. Zum einen entwertet Deutschland damit Großbritanniens alten Seeweg in den Golf von Persien und das Transportmonopol, das England und die Niederlande bislang mit ihren Handelsflotten dorthin innehaben. Zum zweiten würde die Bahn, wenn sie bis Basra und an den Schat el Arab fertig würde, den Deutschen einen Festpunkt an Englands Seeweg vom Mutterland nach Indien bieten. Damit würde sich das Deutsche Reich dem Lebensnerv des kolonialen Weltreichs Großbritanniens nähern.

Daß dies in England Argwohn weckt, kann man in einer als Buch ( „The Serbs“ ) veröffentlichten Vortragsreihe des englischen Historikers Professor Laffan lesen, mit der dieser im Jahre 1917 die Offiziere des Britischen Beratercorps in Serbien über den strategischen Hintergrund ihrer Mission auf dem Balkan im Ersten Weltkrieg unterrichtet. Laffan sagt und schreibt:

„Deutschlands … Grundidee war, ein eine Kette von verbündeten Staaten unter deutscher Vorherrschaft zu errichten, die sich von der Nordsee bis zum Golf von Persien erstreckt… Würde die Bahn Berlin-Bagdad fertiggestellt, wäre eine riesige Landmasse unter deutscher Herrschaft vereinigt worden, in der jeder erdenkliche wirtschaftliche Reichtum hergestellt werden könnte, die aber für eine Seemacht unangreifbar wäre. … Die deutsche und die türkische Armee könnten leicht auf Schussweite an unsere Interessen in Ägypten herankommen und vom persischen Golf aus würde unser indisches Empire bedroht.“ …: „Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, aus welchen Gliedern sich die Kette der Staaten zusammensetzt, die zwischen Berlin und Bagdad liegen: das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei. Nur ein kleiner Gebietsstreifen verhindete, daß die beiden Enden der Kette miteinander verbunden werden konnten. Dieser kleine Streifen ist Serbien. Serbien war in der Tat die erste Verteidigungslinie für unsere Besitzungen im Osten. …“

So zieht sich ein roter Faden von der Bagdadbahn zum Ersten Weltkrieg.

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Sarajewo und die Kettenreaktion bis Kriegsbeginn

Das Attentat von Sarajewo 1914 und die politischen Folgen

Der Reihe der Daten der langen und komplizierten Kettenreaktion vom Mord in Sarajewo bis zum Kriegsausbruch sei diese Kurzversion vorausgeschickt, um eine Übersicht zu geben.

Als 1914 ein bosnisch-serbischer Attentäter im bosnisch-österreichischen Sarajewo den Habsburger Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand ermordet, spitzt sich die Lage zwischen Habsburg und Serbien unversehens zu. Das Deutsche Reich stellt sich sofort in Bündnistreue hinter Habsburg. Die Regierung in Wien mißbraucht dies als Blankoscheck und überzieht ihre Drohungen und Ultimaten an das souveräne Serbien, zu dessen „Nutzen“ das Attentat begangen worden ist. Serbien holt sich Rückendeckung bei seiner Schutzmacht Rußland. Die wiederum versichert sich der Bündnistreue Frankreichs. Und das kann vereinbarungsgemäß auf die Hilfe Englands zählen. So stehen sich kurz nach dem Mord von Sarajewo Serbien, Rußland, Frankreich und England auf der einen Seite und Österreich-Ungarn und Deutschland auf der anderen Seite gegenüber. In dieser zugespitzten Lage schickt Österreich-Ungarn den Serben eine Kriegserklärung. Dem folgen Kriegsvorbereitungen in Frankreich und in Rußland. Als beide Staaten ihre Truppen mobilmachen und England das gleiche mit der Flotte tut, kommt das Deutsche Reich in Zugzwang, mobilisiert später aber schneller und greift als erstes Frankreich an. Dabei läßt die deutsche Heeresleitung einen Teil der Truppen durch das neutrale Belgien aufmarschieren. Daraufhin erklärt England dem Deutschen Reich den Krieg. Dem folgen Kriegserklärungen Englands, Frankreichs und Rußlands an die Türkei. Als nächstes klinkt sich Japan ein, das dem Deutschen Reich den Krieg erklärt, um dadurch Deutschlands Kolonien im Pazifik zu erwerben. Und Italien – zunächst im Bund mit Deutschland und Österreich-Ungarn – wechselt 1915 auf die andere Seite, erklärt seinen Bündnispartnern ebenfalls den Krieg, um seine Grenzen von Süden her bis zum Kamm der Alpen vorzuschieben. So bleibt die Konstellation bis zum Kriegseintritt der USA im Jahre 1917. Es kämpfen Österreich-Ungarn, Deutschland und die Türkei gegen Großbritannien, Frankreich, Rußland, Japan und Italien. Die Balkanländer schlagen sich teils auf die eine und teils auf die andere Seite.

Die Kettenreaktion vom Juli 1914

28.06.1914 Ermordung des Habsburger Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajewo.

Danach: Die politischen und militärischen Spitzen des Deutschen Reichs, der Kaiser, der Reichskanzler, der Außenminister, der Generalstabschef und der Chef der Marineleitung treten ihren Sommerurlaub an, weil sie nichts Schlimmes vorhersehen. Die Presse wird gebeten, nichts über Kriegsgefahr zu schreiben.

23.07.1914

Habsburger Regierung stellt serbischer Regierung ein 48-Stunden-Ultimatum, jede antiösterreichische Hetzpropaganda in Serbien zu unterbinden, österreichische Organe bei der Terrorbekämpfung in Serbien zuzulassen und österreichische Beamte zu den gerichtlichern Untersuchungen des Sarajewo-Mordes hinzuzuziehen. Die letzten beiden Forderungen gehen der serbischen Regierung zu weit.

15.-25.07.

Englische Seekriegsleitung ordnet Mobilmachungsübung für die Flotte an. Nach Übungsende wird nicht demobilisiert, sondern die Flotte in Kriegsbereitschaft gehalten. Die Briten haben damit 14 Tage Vorsprung vor der deutschen Mobilmachung.

20.-23.07.

Französischer Staatspräsident Poincaré und sein Ministerpräsident Viviani in Sankt Petersburg. Sie bekräftigen den Französisch-Russischen Zweibund von 1894 gegen Deutschland und sichern den Russen ihre Bündnistreue für den Fall des Krieges zu. So steht dem Leichtsinn Wilhelms II. mit seiner Bündnistreueerklärung an Habsburg der gleiche Leichtsinn Poincarés mit solch einer Zusicherung an Rußland gegenüber.

25.07.1914

Russische Regierung beschließt, Serbien zu unterstützen. Sie gibt der serbischen Regierung ein Hilfsversprechen. Die lehnt daraufhin das Wiener Ultimatum mit einer teils abweisenden und teils entgegenkommenden Note ab und macht die serbische Armee mobil. Dem folgt noch am gleichen Abend die Teilmobilmachung der österreich-ungarischen Streitkräfte gegen Serbien.

25.07.1914

Kaiser Wilhelm II. liest den Text der serbischen Antwort vom 25. Juli 1914 Er urteilt: „… Damit fällt jeder Kriegsgrund fort. … Daraufhin hätte ich niemals Mobilmachung befohlen“

26.-31.07.

Deutschland und England versuchen mehrfach zu vermitteln. London schlägt eine Balkankonferenz vor.

27.07.1914

Kaiser Wilhelm II. bemüht sich vergeblich, die Höfe in Petersburg und Wien zu bewegen einzulenken. Wien erklärt daraufhin lediglich, daß es bei diesem Streit mit Belgrad nicht die Absicht hege, serbisches Territorium zu erwerben.

28.07.1914

Habsburg erklärt trotz aller deutschen und englischen Bemühungen den Krieg an Serbien. Jetzt handelt auch der Hof in Petersburg. (siehe 29.07.)

Nacht 28. auf 29. 07.

Der deutsche Reichskanzler von Bethmann Hollweg versucht Englands Absicht für den Fall auszuloten, daß sich der Balkankonflikt auf Frankreich und Deutschland ausweiten sollte. Von Bethmann Hollweg bestellt den englischen Botschafter in Berlin, Sir Goschen, zu sich und erklärt ihm, daß Deutschland mit England Frieden halten wolle und im Falle einer Ausweitung des Krieges auf Frankreich keine Gebietserwerbungen auf französische Kosten beabsichtige. Von Bethmann Hollweg deutet an, daß Deutschland je nach Frankreichs Verhalten gezwungen sein könnte, Belgiens Neutralität für eine begrenzte Dauer zu verletzen. Auf die Frage nach Englands Haltung und Absicht antwortet Botschafter Sir Goschen, daß sich seine Regierung zu diesem Zeitpunkt noch nicht festlegen wolle.

29.07. und danach:

Der britische Außenminister Sir Grey beginnt ein Doppelspiel. Er informiert nacheinander den deutschen und den französischen Botschafter in London über Englands Haltung. Dem deutschen, Fürst Lichnowsky, teilt er mit, daß sein Land gedenkt, nur neutral zu bleiben, solange sich der Krieg auf Rußland und Österreich beschränkt. Wenn aber Deutschland und Frankreich in diesen Krieg hineingezogen würden, könne England nicht mehr lange abseits stehen. Den Franzosen, Botschafter Cambon, läßt er verklausuliert das gleiche wissen, so daß die französische Regierung mit Englands Waffenhilfe rechnen kann. Grey gibt Frankreich auf diese Weise diskret englisch zu verstehen, daß es im Streit der Russen, Österreicher und Serben freie Fahrt zum Krieg mit Deutschland hat. Es kann sich – das drückt Grey so aus – getrost in einen Krieg „hineinziehen“ lassen.

29.07.1914

Rußland mobilisiert 13 Armeekorps an den Grenzen zu Österreich-Ungarn. Am gleichen Tag bittet die Regierung in London die in Berlin, noch einmal in Wien zu intervenieren. Das britische Außenministerium teilt dabei aber bereits mit, daß England nur so lange neutral zu bleiben gedenke, wie Frankreich nicht am Krieg beteiligt sei. Das ist die erste leise Drohung an die Adresse Deutschlands, denn mit Österreich kann Großbritannien schließlich keinen Seekrieg führen. England steht „Gewehr bei Fuß“ gegen Deutschland, das verrät dieser frühe Hinweis auf die Bereitschaft, an der Seite Frankreichs Krieg zu führen. Das ist seit der Marokkokrise von 1911 die zweite Drohung in drei Jahren.

30.07.1914

Rußland macht generalmobil. Deutschland steht damit infolge des Vertrags mit Österreich-Ungarn automatisch gegen Rußland. Frankreich hat einen Vertrag mit Rußland und steht damit gegen Deutschland.

30.07.1914

General von Moltke, Chef des deutschen Generalstabs, sieht die militärische Gefahr, die aus dieser Krise für das Deutsche Reich erwachsen kann. Er drängt seinen österreichischen Kameraden, General von Hötzendorf, die Allgemeine Mobilmachung der Truppen Österreich-Ungarns zu beschleunigen. Am gleichen Tag rät Kanzler Bethmann Hollweg dem österreichischen Außenminister Graf Berchtold dringend, vom Krieg mit Serbien abzulassen. Das sind zwei gegenläufige Impulse. Auch an diesem Tag versucht Kaiser Wilhelm II. ein weiteres Mal, seinen angeheirateten „Vetter“ Zar Nikolaj II. vom Kriege abzubringen. Er bittet ihn eindringlich, die Teilmobilmachung vom Vortag zurückzunehmen. Der Zar lenkt zunächst ein, fügt sich dann doch dem Druck seines Außenministers und der Kriegspartei im eigenen Lande. Nun macht Rußland total mobil, das heißt, auch gegenüber Deutschland.

31.07.1914

Kaiser Wilhelm II. fordert die russische Regierung mit einem Ultimatum auf, die Mobilmachungsbefehle binnen zwölf Stunden zurückzuziehen, anderenfalls sei der Kriegszustand zwischen Deutschland und Rußland unvermeidlich. Die russische Regierung geht darauf nicht mehr ein. Sie hat den Angriff ihrer Truppen gegen Deutschland offensichtlich bereits angeordnet. Mit dieser so plötzlich eingetretenen Entwicklung steht Deutschland unversehens vor der Gefahr, zwischen zwei Fronten zu geraten. Die zwei großen Nachbarn im Osten und im Westen sind seit 1894 vertraglich gegen das Deutsche Reich verbunden. Ein Krieg nach zwei Seiten ist für Deutschland eine existentielle Bedrohung, zumal da Deutschland zu der Zeit noch immer nicht mobilgemacht hat.

31.07.1914

Berlin fragt deshalb in Paris an, wie Frankreich gedächte, sich in einer russisch-deutschen Auseinandersetzung zu verhalten. Paris hält Berlin hin und antwortet vieldeutig: „Man werde nach den französischen Interessen entsprechend handeln“. Das kann Frieden heißen oder Krieg um Elsaß-Lothringen.

31.07.1914

In London weiß man, daß Deutschland nun in der Klemme steckt und zur eigenen Rettung höchstwahrscheinlich Belgiens Neutralität verletzen muß. Das ist Englands Eintrittskarte in den Krieg. Die britische Regierung fordert die deutsche und die französische auf, Belgiens Neutralität zu achten. Frankreich sichert das den Briten sofort zu; es plant ja, den Krieg am Oberrhein zu eröffnen. Deutschland fragt zurück, ob England seinerseits Neutralität und Frieden gegenüber Deutschland wahren werde, wenn es auf den Durchmarsch durch belgisches Gebiet verzichten würde. Nun hätte es England in der Hand gehabt, die Belgier vor dem deutschen Durchmarsch zu bewahren. Doch London, das seine Kriegserklärung an Berlin drei Tage später mit der deutschen Verletzung der belgischen Neutralität begründet, ist nicht bereit, dem Krieg, der sich zusammenbraut, zugunsten Belgiens fernzubleiben. London sagt auf diesem Höhepunkt der Krise weder Neutralität noch Frieden zu.

01.08.1914

Um 19 Uhr, nach Ablauf des deutschen Ultimatums an die Russen, überreicht der deutsche Botschafter in Sankt Petersburg die deutsche Kriegserklärung, und fast gleichzeitig überschreiten die ersten russischen Kavallerieverbände die deutsche Grenze in Ostpreußen. Die Entfernung zwischen Petersburg und der deutsch- russischen Grenze und der Dienstweg zwischen dem Hof des Zaren und den russischen Schwadronschefs in ihren Aufmarschräumen an der Grenze sind – vor allem damals – viel zu weit, als daß ein Angriffsbefehl binnen einer oder auch nur weniger Stunden von da nach dort hätte durchgegeben werden können. Der Befehl zum Angriff und damit zur Kriegseröffnung gegen das noch immer abwartende Deutschland ist in Sankt Petersburg ohne jeden Zweifel schon vor der deutschen Kriegserklärung erlassen worden.

01.08.1914

Die französische Regierung ordnet die Mobilmachung der Streitkräfte an. Deutschland hängt nun schon vier Tage hinter der Teilmobilmachung und drei Tage hinter der Generalmobilmachung in Rußland her und 17 Tage hinter der inoffiziellen Mobilmachung der englischen Flotte. Die Tage, in denen der Kaiser und die Reichsregierung versucht haben, zwischen Habsburg und Rußland zu vermitteln, fehlen nun für die eigenen Vorbereitungen auf einen Krieg.. Nach Eingang der schlechten Nachricht aus Paris versucht Berlin, das aufzuholen.

Daß die Befürchtungen des deutschen Generalstabs nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt sich zu Kriegsbeginn, als sich erweist, daß Frankreichs Truppen nicht nur zur Verteidigung des eigenen Landes aufmarschieren, sondern von Anfang an auch für einen Angriff gegen Deutschland mit einer Offensive in Richtung auf den Oberrhein. Da Frankreich ab dem 1. August mobil macht, die Vorbereitungen zum Krieg trifft, offensichtlich darauf wartet, daß die deutschen Truppen in Richtung Rußland abmarschieren und sich weigert, seine Neutralität zu erklären, muß man in Deutschland damit rechnen, daß Frankreich losschlägt, sobald sich Rußland regt. So ist der strategisch schlimmste Fall für Deutschland eingetreten.

02.08.1914

Die deutsche Regierung fragt die belgische ultimativ um die Erlaubnis, Truppen durch belgisches Gebiet nach Nordfrankreich marschieren lassen zu dürfen. Berlin garantiert dabei die Unversehrtheit des belgischen Gebiets und sagt zu, dem Staat Belgien alle Durchmarschkosten zu bezahlen und etwaige Schäden zu ersetzen. Die belgische Regierung lehnt das ab. Inzwischen sind die Würfel in London längst gefallen. An diesem 2. August, noch ehe deutsche Truppen belgisches Gebiet betreten, gibt England die Mobilmachung seiner schon seit Mitte Juli kriegsbereiten Flotte offiziell bekannt. Am gleichen Tag teilt der englische Außenminister Grey der französischen Regierung mit, daß die britische Flotte der französischen zu Hilfe kommen werde, falls die deutsche mit feindlichen Handlungen gegen die französische beginnen werde. Außerdem hatte England den Franzosen bereits1911 sechs Heeresdivisionen für den Fall des Krieges heimlich zugesagt. So ist Großbritannien am 2. August schon kriegsbereit und festgelegt. Wahrheitswidrig stellt sich Minister Grey am Tag danach, dem 3.8., vor das Unterhaus in London und erklärt den offensichtlich ahnungslosen Abgeordneten, England habe sich in Bezug auf den in Europa beginnenden Krieg bisher in keiner Weise festgelegt.

Die Nutzung belgischen Gebiets für einen eigenen Aufmarsch in einem befürchteten Krieg mit Frankreich oder sogar mit Frankreich und England ist auf deutscher Seite seit langem gedanklich in alle Verteidigungsvorbereitungen einbezogen worden. Der Große Generalstab geht von der Annahme aus, daß sich auch Engländer und Franzosen in einem Krieg nicht scheuen werden, gegen Deutschland durch Belgien, Luxemburg und Holland aufzumarschieren. (England hat 1906 versucht, Belgien aus seiner Neutralität zu lösen und in seine Kriegsvorbereitungen gegen Deutschland einzubeziehen.) So ist die komplizierte Aufmarschplanung der deutschen Heerestruppen für den Kriegsfall unter Einbeziehung des belgischen Eisenbahnnetzes vorgenommen worden. Dies vor allem deshalb, weil man sich deutscherseits die größten Erfolgschancen gegen das französische Heer durch eine Nordumfassung entlang der Kanalküste ausgerechnet hat. Und der Weg nach Nordfrankreich führt nun einmal durch Belgien. Dieser Aufmarschplan des Großen Generalstabs ist zwar außenpolitisch töricht und ihn dann auch noch gegen den Willen der belgischen Regierung durchzusetzen, ist ein Völkerrechtsverstoß. Doch militärisch verspricht der Plan Erfolg zum Schutz des eigenen Landes, vor allem, wenn Deutschland zur gleichen Zeit nach zwei Seiten um seine Existenz kämpfen muß.

03.08.1914

Berlin erklärt Paris den Krieg. Deutscher Angriffsbeginn.

03.08.1914

Als deutsche Truppen am 3. August beginnen, durch Belgien gegen Frankreich vorzugehen, stellt London Berlin ein Ultimatum und verlangt, die Truppen unverzüglich aus Belgien zurückzuziehen. Deutschland kann auf den Durchmarsch durch das neutrale Land jetzt nicht mehr verzichten und setzt den Aufmarsch fort.

Dem folgt am Tag darauf:

14.08.1914

Englands Kriegserklärung an das Deutschland.

04.08.1914

Der deutsche Reichskanzler von Bethmann Hollweg drückt die Skrupel der deutschen Reichsregierung , Belgiens Neutralität zu verletzen, vor dem Reichstag mit den Worten aus:

„So waren wir gezwungen, uns über den berechtigten Protest der luxemburgischen und der belgischen Regierung hinwegzusetzen. Das Unrecht – ich spreche offen – das Unrecht, das wir damit tun, werden wir wieder gutzumachen suchen, sobald unser militärisches Ziel erreicht ist. Wer so bedroht ist wie wir und um sein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durchhaut“ .

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Der Versailler Vertrag und seine Folgen 1920

Die Vorgeschichte

Das deutsche Drama nach dem Ersten Weltkrieg beginnt damit, daß US-Prädident Wilson der deutschen Seite noch im Kriege einen Friedensschluß anbietet, den die Sieger später ignorieren. Wilsons Friedensangebot – die sogenannten 14 Punkte – enden mit den Sätzen:

„Wir sind nicht eifersüchtig auf die deutsche Größe und es ist nichts in diesem Angebot, das sie verringert. … Wir wünschen nicht, Deutschland zu verletzen oder in irgendeiner Weise seinen berechtigten Einfluß oder seine Macht zu hemmen. … Wir wünschen nur, daß Deutschland einen Platz der Gleichberechtigung unter den Völkern einnimmt, statt eines Platzes der Vorherrschaft.“

Dem US-Angebot folgen je fünf Noten von amerikanischer und von deutscher Seite, in denen man sich gegenseitig versichert, daß man sich an die 14 Punkte halten wolle. Die einzige Abtrennung deutsch besiedelten Gebietes, die schon dort vereinbart wird, ist die Abtretung Elsass-Lothringens an Frankreich. Mit der Zusicherung „Wir wünschen nur, daß Deutschland einen Platz der Gleichberechtigung unter den Völkern einnimmt.“ legt Deutschland seine Waffen nieder und beginnt, die Truppen aufzulösen.

Die Konferenz

Es kommt zum Waffenstillstand und der Konferenz von Versailles, die in fataler Weise Geschichte schreiben wird. Die Konferenz leitet nun nicht mehr Woodrow Wilson, dessen 14-Punkte-Vorschlag die deutsche und österreichisch-ungarische Seite verleitet hatte, ihre Truppen von den Fronten abzuziehen und in der Heimat aufzulösen. Die Konferenz leitet der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau. Clemenceau erkennt die 14 –Wilson-Punkte in den Teilen, die Deutschlands Nachkriegsrechte sichern sollten, nicht mehr an, und er lässt die deutsche Konferenzdelegation auch nicht zu den Verhandlungen zu. So verhandeln Briten, Franzosen, Amerikaner, Belgier, Polen und weitere 22 Siegerstaaten geschlossen unter sich. Sie beschließen die Abtrennung deutscher Gebiete und die Geld- und Sachreparationen, die Deutschland an sie abtreten, zahlen oder leisten soll. Sie legen die nach Versailles genannte Nachkriegsordnung für Europa zu den alleinigen Lasten der Besiegten fest.

Am 7. Mai 1919 werden die von den 27 Siegerstaaten festgelegten Bedingungen erstmals der deutschen Delegation eröffnet. Clemenceau überreicht sie mit den Worten: „Die Stunde der Abrechnung ist da.“ Die Bitte der deutschen Delegation, den „Vertrag“, den sie nun unterschreiben soll, vorher zu verhandeln, wird abgelehnt. Um dem Ausmaß ihrer Forderungen den Anschein von Berechtigung zu geben, versteigen sich die Sieger dazu, Deutschland und seinen Kriegsverbündeten die Alleinschuld am Ersten Weltkriegs zuzuschreiben. Der Vertrag verlangt von Deutschland eine große Zahl von Land- und Bevölkerungsabtretungen: das zu 88% deutschsprachige Elsaß-Lothringen an Frankreich, die Provinzen Posen, fast das ganze, zu 70% deutschsprachige Westpreußen und das oberschlesische Industriegebiet an Polen, das Memelgebiet an den Völkerbund, das Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei, Nordschleswig an Dänemark, das Gebiet um die zwei Städte Eupen und Malmedy an Belgien und Danzig mit dem Umland als Freistaat unter die Hoheit des Völkerbunds. Der Vertrag stellt das Saargebiet für 15 Jahre unter Frankreichs Herrschaft. Er verbietet außerdem den Anschluß Rest-Österreichs an Deutschland, den die neue Wiener Nationalversammlung gleich nach dem Krieg gefordert hatte. Mehr als die Landverluste schmerzen die erzwungenen Bevölkerungsabtretungen. Die Ausgliederung von 7 Millionen Menschen aus dem Deutschen Reich und die Grenzen neuer Staaten trennen Millionen von Familien auf unbestimmte Dauer. Mit dem Vertrag verliert Deutschland seine Kolonien, zumeist an England. Die Streitkräfte werden auf 100.000 Mann im Heer und 15.000 in der Marine reduziert. Das Deutsche Reich muß den größten Teil der Handelsflotte und der Goldreserven an die Sieger übergeben, dazu einen Großteil seiner jährlichen Eisenerz- und Kohleförderung, Unmengen von Nutzvieh und Landwirtschafts-maschinen, 150.000 Eisenbahnwaggons und viele tausend Lokomotiven und Lastkraftwagen. Das gesamte private Auslandsvermögen und unzählige Industriepatente werden konfisziert. Die Geldzahlungen sind exorbitant und über 70 Jahre zu bezahlen. Deutschland wird sie, wie sich später zeigen wird, nie in voller Höhe zahlen können.

Die Folgen

Die unmittelbarste Folge sind die Ausweisung oder Flucht von über einer Million Deutscher aus ihrer Heimat in das deutsche Kernland, das zu der Zeit weder Arbeitsplätze noch Wohnraum noch soziale Hilfe für die Vertriebenen im nötigen Maße bieten kann. Dazu kommen über 20 Jahre lang für viele Millionen Deutsche, die sich entschlossen hatten, in ihrer angestammten Heimat zu verbleiben, eine Mischung von unfreundlicher Duldung, Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung in den Staaten, denen sie nun ungefragt und ungebeten angehören müssen. Die kurze Zeit bis 1939 läßt kein Vergessen der selbst erlebten Schicksalsschläge zu. Als ab 1934 die wirtschaftliche Lage Deutschlands wieder deutlich besser wird, und die Vertriebenen in ihrer Mehrzahl wieder Arbeit, Lohn und Wohnraum finden, und als zwischen 1935 und ´38 erst des Saargebiet, dann die Sudetenlande und dann das Memelgebiet und damit über 3 Millionen Deutsche „heim ins Reich“ kehren, wollen vor allem diese gerade von der Fremdherrschaft erlösten Menschen sicher nicht schon 1939 wieder eine nächsteNiederlage gegen ihre Fremdherrschaft von gestern. Für sie – wie für die Mehrheit aller Deutschen – ist der neue Kriegsanlaß von 1939 – Danzig, die Verkehrswege ins abgetrennte Ostpreußen und die Garantie der Menschenrechte für die in Polen lebenden Volksdeutschen – nur die konsequente Fortsetzung einer Außenpolitik, die ihnen gerade selbst die Befreiung von einer Fremdherrschaft beschert hat.

Der Erste Weltkrieg ist für fast alle kämpfenden Parteien auch ein finanzieller Opfergang gewesen. Die Deutschen hatten ihre Kriegsausgaben mit Steuern und mit Staatsanleihen selber finanziert. Briten und Franzosen hatten sich die nötigen Gelder größtenteils bei Banken in Amerika geliehen. Die Kriegskosten der USA dagegen waren durch den späten Eintritt in den Krieg relativ gering geblieben. So versuchen die Regierungen Englands und Frankreichs, ihre Kriegsschulden und Kriegslasten nach 1919 aus dem besiegten Deutschland einzutreiben.

Deutschland werden demzufolge nicht nur Kolonien, Auslandsvermögen, Patente und Industrieanlagen von immensen Werten abgenommen, sondern die neue deutsche Republik soll neben Sachleistungen wie Kohle, Holz, Vieh und anderem auch in „barem“ Geld bezahlen.

Reparationen in Geld, Gold und Devisen

Als erstes muß Deutschland 1919 zur Sicherung der noch nicht festgelegten Reparationen bei ausländischen Banken eine Schuldverschreibung über 100 Milliarden Goldmark unterschreiben und dafür ab der Unterzeichnung 5% Zinsen – das sind 5 Milliarden Goldmark jährlich – zahlen. Um die Größenordnung zu verstehen, sei erwähnt, daß Frankreich 1871 nach einem Kriege, den es selbst verursacht, erklärt und dann verloren hatte, mit einer Gesamtreparation von ca. 5 Milliarden Goldfranken ( gleich ca. 4 Mrd. Goldmark ) davongekommen war. Die alliierten Sieger verlangen 1919 statt dessen einen Beitrag in fast der gleichen Höhe, aber einmal jährlich, und das ohne Tilgungsanteil.

Im Januar 1921 legen die Siegermächte dann die Gesamthöhe der Reparationen Deutschlands für die nächsten 42 Jahre fest: ca. 331 Milliarden Goldmark. Auch hier zwei Zahlen zum Vergleich. Die Kosten Deutschlands für den gesamten Ersten Weltkrieg hatten nur halb soviel betragen ( 163 Mrd. ). Und das besiegte Russland hatte 1918 im Frieden von Brest-Litowsk überhaupt keine Reparationen an die Sieger Deutschland und Österreich-Ungarn zahlen müssen. Man sieht im Ausland schon damals, wie völlig maßlos die eigenen Forderungen in Versailles sind. Dazu drei Siegerstimmen: Der damalige italienische Ministerpräsident Nitti: „Noch niemals ist ein ernstlicher und dauerhafter Friede auf die Ausplünderung, die Quälerei und den Ruin eines besiegten Volkes gegründet worden.“ Der amerikanische Außenamts-Staatssekretär Lansing noch während der Versailler Sitzungen: „Die Friedensbedingungen erscheinen unsagbar hart und demütigend, während viele von ihnen mir unerfüllbar erscheinen.“ Und Churchill in seinen Erinnerungen: „Die wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrages waren so bösartig und töricht, daß sie offensichtlich jede Wirkung verloren. Deutschland wurde dazu verurteilt, unsinnig hohe Reparationen zu leisten.“ Doch die rechtzeitigen und auch die späteren Einsichten führt nicht dazu, dem besiegten Deutschland eine Brücke zu bauen.

Die junge deutsche Republik hat außer den Reparationen auch noch die eigenen Kriegsanleihen abzutragen, die Unterstützung für die Kriegsopfer aufzubringen, die Entschädigungen für die in Elsaß-Lothringen verlorenen Sachwerte zu leisten und obendrein den Siegern die Besatzungskosten zu bezahlen. So kommt es, daß das Deutsche Reich schon die zweite Monatsrate nicht mehr voll bezahlen kann. Die Sieger besetzen daraufhin zum ersten Mal als Straf- und Repressionsmaßnahme einen Teil des Ruhrgebiets, die Städte Duisburg, Düsseldorf und Ruhrort.

Im Mai 1921 legen die Siegermächte dann einen „endgültigen Reparationsplan“ fest, der allerdings nicht lange ( end- ) gültig bleibt. Die neue Schuld beträgt noch 132 Milliarden Goldmark plus einer 26%-Abgabe auf alle deutschen Exporte, was jährlich noch einmal bei 2 bis 3 Milliarden liegt. Auch 1922 kann die Weimarer Republik die Schulden nicht bezahlen. Als gegen Ende ´22 noch 1,6% der Jahresrate fehlen, marschieren belgische und französische Truppen ein zweites Mal ins Ruhrgebiet und besetzen Oberhausen und Essen. Die Reichsregierung Cuno ruft daraufhin zum „Passiven Widerstand“ gegen die Besatzungstruppen auf, was zur Erschießung von 14 deutschen Arbeitern und der Vertreibung von 80.000 Männern aus dem Ruhrgebiet führt, die damit Heim, Arbeitsplatz und Lohn verlieren. Frankreich unterbindet außerdem die Lieferung von Kohle von der Ruhr ins nicht besetzte Deutschland. Da die Weimarer Republik schon die Kohlereviere Saar an die Franzosen und Oberschlesien an die Polen hatte übergeben müssen, bricht mit dem Kohle-Embargo an der Ruhr die Energieversorgung im ganzen Deutschen Reich zusammen. Dem folgen der Kollaps der deutschen Industrieproduktion und kurz darauf auch der Zusammenbruch der Reichsmark-Währung. Es kommt zur Inflation, bis 4 Milliarden Reichsmark nur noch den Wert von einem Dollar haben. Es kommt zu hoher Arbeitslosigkeit und zur Verelendung eines großen Teiles der Bevölkerung in Deutschland.

1924 folgt der nächste Zahlungsplan der Sieger, der DAWES-Plan, der wieder keine Obergrenzen für die deutschen Zahlungspflichten nennt, aber geringere Jahresraten ansetzt. Deutschland – nach wie vor nicht zahlungsfähig – leiht sich das verlangte Geld bei US-Banken und zahlt seine Reparationen nun fünf Jahre lang mit immer neuen Schulden. 1930 wird der DAWES-Plan vom YOUNG-Plan abgelöst, der die „endgültige“ Höhe der Reparationen festlegt und die Zahlungsdauer 1988 enden läßt. Auch die YOUNG-Raten muß sich die Weimarer Republik bei Banken in den USA besorgen. Die Reste der DAWES- und der YOUNG-Anleihen zahlt die Bundesrepublik Deutschland noch bis zum Jahr 2010 bei Banken in den USA ab.

1930 beginnt die Weltwirtschaftskrise in Nordamerika. Die US-Banken – nun selbst in Schwierigkeiten – verlangen von den deutschen Schuldner-Banken, alle kurzfristigen Kredite der letzten Jahre sofort zurückzuzahlen, worauf im Sommer 1931 fast alle deutschen Banken Konkurs anmelden müssen. Es folgt die Zeit der Depression in Deutschland, die Zeit der 6 Millionen Arbeitslosen und der Versuch der Reichsregierung Brüning, die Weimarer Republik am Parlament vorbei mit Notverordnungen wirtschaftlich zu retten. Dies ist der Tod der Republik von Weimar .

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Die Volksabstimmung an der Saar 1935

Der erste Anschluß fällt Hitler sozusagen in den Schoß. Während der Siegerkonferenz in Versailles versichert der französische Ministerpräsident Clemenceau wiederholt , daß die Saarländer französischer Abstammung seien und, soweit doch von deutscher Herkunft, Bürger Frankreichs werden wollten. Trotz des festen Willens der Franzosen findet ihre Absicht, auch das Saargebiet zu schlucken, in Versailles keine Mehrheit. Die Russen, die ihnen die Saar noch in einem Geheimvertrag von 1917 zugesichert hatten, sind bei der Versailler Konferenz nicht mehr beteiligt. Und US-Präsident Wilson sowie der englische Premier Lloyd George sind nicht einverstanden, daß Frankreich das Saarland samt Bevölkerung und Bodenschätzen annektiert. Als Kompromiß der drei großen Siegermächte wird das Saargebiet zunächst für 15 Jahre unter die Verwaltung des Völkerbunds gestellt. Dann erst soll nach einer Volksabstimmung entschieden werden, ob es auf Dauer französisch, selbständig oder wieder deutsch wird. Die Einzelheiten dieses Wechsels regelt der Versailler Vertrag, Artikel 49, mit dem „1. Saarstatut“.

Das Saarland und das Erste Saarstatut

Eine fünfköpfige, international besetzte „Saarkommission” soll das Saarland in diesen 15 Jahren im Auftrag des Völkerbunds regieren. Die Saarkommission steht unter dem Vorsitz eines französischen Präsidenten. Sie entpuppt sich bald als alleinige Vertretung französischer Interessen. Das ändert sich auch nicht, als das kanadische und das deutsche Mitglied der Kommission deshalb aus Protest dies Gremium verlassen. Die Verhältnisse an der Saar verschlimmern sich dadurch nur noch weiter zum Schaden der betroffenen Bevölkerung. Frankreich schaltet und waltet de facto als neuer Herrscher an der Saar. Die Proteste der angestammten Bevölkerung werden auf Weisung der Franzosen in der Kommission in aller Regel dem dafür zuständigen Völkerbund nicht einmal zugeleitet. Die Regierung in Paris verlegt gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags 5.000 französische Soldaten in das Saargebiet. Die deutsche Beamtenschaft wird zum größten Teil ausgewiesen und durch französische ersetzt. Das gleiche passiert mit den deutschen Firmenleitungen in der Industrie und im Bergbau an der Saar.

Zankapfel Saargebiet

1935 sind die 15 Jahre Saarstatut zu Ende, und Frankreich muß die 1920 in Versailles festge-legte Volksabstimmung dulden. So ist die Tatsache der Volksabstimmung an der Saar kein Verdienst des Kanzlers Hitler. In den Monaten vor der Abstimmung tobt ein heftiger Wahl-kampf an der Saar, bei dem die französische Verwaltung vor Ort den Heimvorteil besitzt, und das Deutsche Reich dagegen keinen unmittelbaren Zutritt hat. Der Wahlkampf wird von französischer Seite bewußt gegen den Nationalsozialismus und die neuen Mißstände im Dritten Reich geführt. Die Emotionen schlagen dabei hoch, und die Volksabstimmung droht, zu harten Auseinandersetzungen auszuarten. Da schlägt der deutsche Regierungschef Hitler der französischen Regierung vor, die Zukunft der Saar durch eine freundschaftliche Vereinbarung zwischen beiden Regierungen zu regeln und auf die Volksabstimmung zu verzichten Sein Vorschlag lautet, das Saargebiet Deutschland wieder anzuschließen und durch einen Wirtschaftsvertrag zu regeln, daß die französische Industrie die Bodenschätze an der Saar so ausbeuten dürfe wie bisher. Die französische Regierung lehnt den Vorschlag ab. Sie wertet ihn als Hitlers Eingeständnis der schlechten deutschen Chancen bei der Wahl.

Die Saarabstimmung 1935

Am 13. Januar 1935 wird unter der Aufsicht des Völkerbunds gewählt. 90,8 Prozent der Saarländer votieren für den Anschluß an das Deutsche Reich, 8,8 Prozent für die Selbständigkeit der Saar und 0,4 Prozent für den Anschluß an Frankreich. Diese Wahl außerhalb des deutschen Staatsgebiets hat ohne jeden Zweifel ohne deutsche Manipulationen und Pressionen stattgefunden. Und sie wirkt, dank des Wahlkampfthemas der Franzosen “Nationalsozialismus in Deutschland” statt einer Entscheidung für Deutschland und gegen Frankreich wie eine breite Zustimmung zum neuen nationalen Sozialismus des deutschen Kanzlers Hitler. So bescheren die Franzosen Hitler einen innenpolitischen Triumph, der stärker nachwirkt als sie ahnen. Für Hitler wird der erste Anschluß nach der Niederlage von 1918 zugleich ein Plebiszit für die “Bewegung”. Am 1. März 1935 geht die Hoheit über das Saargebiet wieder auf das Deutsche Reich über.

(In der gängigen Literatur sind diese Geschehnisse auch unter den Stichworten Beitritt des Saargebiets, Rückgabe des Saargebiets, Anschluss des Saargebiets und Angliederung des Saargebiets zu finden.)

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Die Rheinlandbesetzung 1936

Das entmilitarisierte Rheinland

In den 20er Jahren hat Deutschland durch den Versailler Vertrag nicht nur gewaltige Einbußen an Menschen, Land und Industriepotenzialen erfahren. Es hat im „Frieden“ von Versailles vor allem keinen Friedensschluß erreicht. Der Versailler Vertrag hatte Deutschland u. a. auferlegt, das Rheinland mit der Pfalz links des Rheins und eine 50 Kilometer tiefe Zone rechts des Rheins von der Schweiz bis zu den Niederlanden von eigenen Truppen und Befestigungen freizuhalten. Damit stand zukünftigen Friedensbrüchen eine Türe offen.

Der Pakt von Locarno (auch Rheinpakt 1925)

1921 und 1923 nutzen Frankreich und Belgien diese ungeschützte Grenze, um Deutschland für nicht geleistete Reparationen zu “bestrafen” und erst Düsseldorf und Duisburg und dann das ganze Ruhrgebiet mit fünf Heeresdivisionen zu besetzen. Dennoch bestätigt die deutsche Reichsregierung 1925 im Pakt von Locarno noch einmal diese Entmilitarisierung der deutschen Grenzregion in Richtung Frankreich, um sich damit die Mitgliedschaft im Völkerbund und den Abzug der französischen Besatzungstruppen aus der „Kölner Zone” zu erkaufen. Gleichzeitig garantieren sich Frankreich, Deutschland und Belgien gegenseitig den Verlauf ihrer gemeinsamen Grenzen, und sie vereinbaren, in Zukunft „in keinem Falle zu einem Angriff oder zu einem Einfall oder zum Kriege gegeneinander zu schreiten“.

Der Französisch-Sowjetische Vertrag 1935

Das Ende des Locarnopakts beginnt mit einem französisch-russischen Vertrag. 1935 ersetzen Frankreich und die Sowjetunion einen auslaufenden Nichtangriffspakt von 1932 durch einen neuen Beistandspakt. In einem Zusatzprotokoll sagen sich Paris und Moskau ihre Waffenhilfe auch für den Fall zu, daß eines ihrer Länder von einem Drittland angegriffen wird, und – das ist das Besondere – das auch wenn der Völkerbund eine solche Waffenhilfe nicht empfiehlt. Damit behalten sich Paris und Moskau vor, bei einem Streit mit dritten Staaten in eigener Machtvollkommenheit zu entscheiden, wer der Aggressor ist. Da die inzwischen wieder gut aufgerüstete Sowjetunion nicht von den kleinen Baltenstaaten und auch nicht von den militärisch weit unterlegenen Polen oder Rumänen bedroht ist, macht der Pakt nur in einem Krieg mit Deutschland einen Sinn. Frankreich hatte sich jedoch im Locarnopakt verpflichtet, keine militärischen Operationen gegen Deutschland mehr zu führen, es sei denn zur eigenen Verteidigung oder aufgrund früherer Verpflichtungen, die Frankreich gegenüber den Polen und den Tschechen eingegangen war. Ein französisches Versprechen, der Sowjetunion im Falle eines deutsch-sowjetischen Krieges mit Waffenhilfe beizustehen, ist also ein Bruch des Paktes von Locarno. Und in Locarno – und das ist hier von Bedeutung – wird deutscherseits die Entmilitarisierung des Rheinlands zugesagt, die Hitler nun im Gegenzuge kündigt.

Dem französisch-sowjetischen Vertragsschluß am 2. Mai 1935 geht eine Monate dauernde diplomatische Auseinandersetzung zwischen Paris und Berlin voraus, an der auch die Garantiemächte des Locarno-Paktes ihren Anteil haben. Im April 1935 warnt der britische Außenminister Simon die französische Regierung,

„daß England beunruhigt sein würde, wenn Frankreich einen Vertrag unterschriebe, der es eventuell in einen Krieg mit Deutschland hineinziehen könnte und das unter Bedingungen, die mit dem § 2 des Locarno-Paktes unvereinbar sind.”

Am 25. Mai 1935 übersendet die deutsche Regierung der französischen ein Memorandum, in dem sie geltend macht, daß der neue sowjetisch-französische Vertrag Artikel 16 der Völkerbundsatzung verletze und nach deutscher Auffassung auch den Locarno-Pakt. Am 27. Februar 1936 wird der Sowjetisch-Französische Beistandspakt ungeachtet dessen von der französischen Nationalversammlung ratifiziert.

Für Hitler ist der Sowjetisch-Französische Vertrag ein Rückschlag in dem Bemühen, Deutschland nach außen abzusichern. Sein Erfolg von 1934, der Nichtangriffspakt mit Polen, hatte Frankreichs Ring um Deutschland aufgebrochen. Nun stopft Paris die Lücke mit einem neuen Waffenbruder. Damit wird für die deutsche Seite dreierlei erkennbar: erstens, daß man in Paris den deutschen Garantien von Locarno keinen unbedingten Glauben schenkt, zweitens daß man in Paris durchaus noch einen weiteren Krieg ins Auge faßt und drittens, daß sich die Allianz der potentiellen Gegner Deutschlands an Frankreichs Seite um eine weitere Million Soldaten verstärkt. Für Deutschland ist dies in Erinnerung an das französisch-russische Zusammenspiel von 1914 eine schlechte Perspektive. Bei nüchterner Betrachtung zeigt sich, daß Frankreich 1935 sein Bündnissystem ein weiteres Mal zu deutschen Lasten ausbaut und daß Deutschlands Grenze zu Frankreich schutzlos offenliegt. Die Drohung Frankreichs während der oberschlesischen Kämpfe von 1921, in Deutschland einzumarschieren, und die ja tatsächlich erfolgten Einmärsche der Belgier und Franzosen vom 8. März 1921 und vom 11. Januar 1923 sind in Deutschland schließlich nicht vergessen.

Die französische Verletzung des Locarno-Vertrages durch den Abschluß des Beistands-abkommens mit der Sowjetunion ist für Hitler Anlaß, sich nun auch nicht mehr an diesen Pakt zu halten und das eine mit dem anderen zu begründen. Hitler faßt den politischen Entschluß, das von deutschen Truppen nicht geschützte Rheinland wieder zu besetzen.

Anfang März 1936 eröffnet der Diktator Hitler den Entschluß dazu den Spitzen des Auswärtigen Amtes und der Wehrmacht. Von beiden Seiten wird ihm schärfstens abgeraten.

Die Besetzung des Rheinlands März 1936

Am 7. März 1936 läßt Hitler 19 Wehrmachtsbataillone in die entmilitarisierte Zone einmarschieren. Um der politischen Provokation nicht noch eine militärische Drohgebärde hinzuzufügen, überschreiten zunächst nur drei der 19 Bataillone den Rhein nach Westen und rücken in Saarbrücken, Trier und Aachen ein. Hitler verletzt mit diesem Handeln die Verträge von Locarno und Versailles. Doch er schafft damit auch die Voraussetzung für die Verteidigungsfähigkeit des Deutschen Reichs nach Westen. Hitler begleitet diesen Schritt mit einem neuen Angebot an Frankreich. Er regt an, in Zukunft eine entmilitarisierte Zone auf beiden Seiten der deutsch-französischen Grenze einzurichten, die deutschen und die französischen Streitkräfte bei gemeinsamen Höchstzahlen zu begrenzen und einen Nichtangriffspakt von 25 Jahren Dauer abzuschließen. Frankreich lehnt das ab und lässt statt dessen Truppen von Südfrankreich in Richtung Deutschland vorverlegen.

Am 14. März 1936 tritt der Rat des Völkerbunds zusammen, um über den deutschen Bruch des Versailler Vertrages zu befinden. Frankreich fordert, Deutschland wegen der Vertrags-verletzung zu verurteilen. Der britische Vertreter erklärt jedoch :

„Es ist offensichtlich, daß der Einmarsch der deutschen Truppen in das Rheinland eine Verletzung des Versailler Friedensvertrages darstellt. Dennoch stellt diese Aktion keine Bedrohung des Friedens dar und erfordert keinen unmittelbaren Gegenschlag. Zweifellos schwächt die Wiederbesetzung des Rheinlandes die Macht Frankreichs, aber sie schwächt in keiner Weise seine Sicherheit.“

In der Literatur erscheint dieser Vorgang meist als Remilitarisierung des Rheinlands. Dieser Terminus verbirgt, dass es hier letztlich um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands gegen noch immer mögliche Angriffe aus Frankreich und Belgien ging. Immerhin waren 1921 und 1923 französische und belgische Truppen durch diese offene Westgrenze ins Ruhrgebiet und nach Frankfurt am Main marschiert.

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