Die Rheinlandbesetzung 1936

Das entmilitarisierte Rheinland

In den 20er Jahren hat Deutschland durch den Versailler Vertrag nicht nur gewaltige Einbußen an Menschen, Land und Industriepotenzialen erfahren. Es hat im „Frieden“ von Versailles vor allem keinen Friedensschluß erreicht. Der Versailler Vertrag hatte Deutschland u. a. auferlegt, das Rheinland mit der Pfalz links des Rheins und eine 50 Kilometer tiefe Zone rechts des Rheins von der Schweiz bis zu den Niederlanden von eigenen Truppen und Befestigungen freizuhalten. Damit stand zukünftigen Friedensbrüchen eine Türe offen.

Der Pakt von Locarno (auch Rheinpakt 1925)

1921 und 1923 nutzen Frankreich und Belgien diese ungeschützte Grenze, um Deutschland für nicht geleistete Reparationen zu “bestrafen” und erst Düsseldorf und Duisburg und dann das ganze Ruhrgebiet mit fünf Heeresdivisionen zu besetzen. Dennoch bestätigt die deutsche Reichsregierung 1925 im Pakt von Locarno noch einmal diese Entmilitarisierung der deutschen Grenzregion in Richtung Frankreich, um sich damit die Mitgliedschaft im Völkerbund und den Abzug der französischen Besatzungstruppen aus der „Kölner Zone” zu erkaufen. Gleichzeitig garantieren sich Frankreich, Deutschland und Belgien gegenseitig den Verlauf ihrer gemeinsamen Grenzen, und sie vereinbaren, in Zukunft „in keinem Falle zu einem Angriff oder zu einem Einfall oder zum Kriege gegeneinander zu schreiten“.

Der Französisch-Sowjetische Vertrag 1935

Das Ende des Locarnopakts beginnt mit einem französisch-russischen Vertrag. 1935 ersetzen Frankreich und die Sowjetunion einen auslaufenden Nichtangriffspakt von 1932 durch einen neuen Beistandspakt. In einem Zusatzprotokoll sagen sich Paris und Moskau ihre Waffenhilfe auch für den Fall zu, daß eines ihrer Länder von einem Drittland angegriffen wird, und – das ist das Besondere – das auch wenn der Völkerbund eine solche Waffenhilfe nicht empfiehlt. Damit behalten sich Paris und Moskau vor, bei einem Streit mit dritten Staaten in eigener Machtvollkommenheit zu entscheiden, wer der Aggressor ist. Da die inzwischen wieder gut aufgerüstete Sowjetunion nicht von den kleinen Baltenstaaten und auch nicht von den militärisch weit unterlegenen Polen oder Rumänen bedroht ist, macht der Pakt nur in einem Krieg mit Deutschland einen Sinn. Frankreich hatte sich jedoch im Locarnopakt verpflichtet, keine militärischen Operationen gegen Deutschland mehr zu führen, es sei denn zur eigenen Verteidigung oder aufgrund früherer Verpflichtungen, die Frankreich gegenüber den Polen und den Tschechen eingegangen war. Ein französisches Versprechen, der Sowjetunion im Falle eines deutsch-sowjetischen Krieges mit Waffenhilfe beizustehen, ist also ein Bruch des Paktes von Locarno. Und in Locarno – und das ist hier von Bedeutung – wird deutscherseits die Entmilitarisierung des Rheinlands zugesagt, die Hitler nun im Gegenzuge kündigt.

Dem französisch-sowjetischen Vertragsschluß am 2. Mai 1935 geht eine Monate dauernde diplomatische Auseinandersetzung zwischen Paris und Berlin voraus, an der auch die Garantiemächte des Locarno-Paktes ihren Anteil haben. Im April 1935 warnt der britische Außenminister Simon die französische Regierung,

„daß England beunruhigt sein würde, wenn Frankreich einen Vertrag unterschriebe, der es eventuell in einen Krieg mit Deutschland hineinziehen könnte und das unter Bedingungen, die mit dem § 2 des Locarno-Paktes unvereinbar sind.”

Am 25. Mai 1935 übersendet die deutsche Regierung der französischen ein Memorandum, in dem sie geltend macht, daß der neue sowjetisch-französische Vertrag Artikel 16 der Völkerbundsatzung verletze und nach deutscher Auffassung auch den Locarno-Pakt. Am 27. Februar 1936 wird der Sowjetisch-Französische Beistandspakt ungeachtet dessen von der französischen Nationalversammlung ratifiziert.

Für Hitler ist der Sowjetisch-Französische Vertrag ein Rückschlag in dem Bemühen, Deutschland nach außen abzusichern. Sein Erfolg von 1934, der Nichtangriffspakt mit Polen, hatte Frankreichs Ring um Deutschland aufgebrochen. Nun stopft Paris die Lücke mit einem neuen Waffenbruder. Damit wird für die deutsche Seite dreierlei erkennbar: erstens, daß man in Paris den deutschen Garantien von Locarno keinen unbedingten Glauben schenkt, zweitens daß man in Paris durchaus noch einen weiteren Krieg ins Auge faßt und drittens, daß sich die Allianz der potentiellen Gegner Deutschlands an Frankreichs Seite um eine weitere Million Soldaten verstärkt. Für Deutschland ist dies in Erinnerung an das französisch-russische Zusammenspiel von 1914 eine schlechte Perspektive. Bei nüchterner Betrachtung zeigt sich, daß Frankreich 1935 sein Bündnissystem ein weiteres Mal zu deutschen Lasten ausbaut und daß Deutschlands Grenze zu Frankreich schutzlos offenliegt. Die Drohung Frankreichs während der oberschlesischen Kämpfe von 1921, in Deutschland einzumarschieren, und die ja tatsächlich erfolgten Einmärsche der Belgier und Franzosen vom 8. März 1921 und vom 11. Januar 1923 sind in Deutschland schließlich nicht vergessen.

Die französische Verletzung des Locarno-Vertrages durch den Abschluß des Beistands-abkommens mit der Sowjetunion ist für Hitler Anlaß, sich nun auch nicht mehr an diesen Pakt zu halten und das eine mit dem anderen zu begründen. Hitler faßt den politischen Entschluß, das von deutschen Truppen nicht geschützte Rheinland wieder zu besetzen.

Anfang März 1936 eröffnet der Diktator Hitler den Entschluß dazu den Spitzen des Auswärtigen Amtes und der Wehrmacht. Von beiden Seiten wird ihm schärfstens abgeraten.

Die Besetzung des Rheinlands März 1936

Am 7. März 1936 läßt Hitler 19 Wehrmachtsbataillone in die entmilitarisierte Zone einmarschieren. Um der politischen Provokation nicht noch eine militärische Drohgebärde hinzuzufügen, überschreiten zunächst nur drei der 19 Bataillone den Rhein nach Westen und rücken in Saarbrücken, Trier und Aachen ein. Hitler verletzt mit diesem Handeln die Verträge von Locarno und Versailles. Doch er schafft damit auch die Voraussetzung für die Verteidigungsfähigkeit des Deutschen Reichs nach Westen. Hitler begleitet diesen Schritt mit einem neuen Angebot an Frankreich. Er regt an, in Zukunft eine entmilitarisierte Zone auf beiden Seiten der deutsch-französischen Grenze einzurichten, die deutschen und die französischen Streitkräfte bei gemeinsamen Höchstzahlen zu begrenzen und einen Nichtangriffspakt von 25 Jahren Dauer abzuschließen. Frankreich lehnt das ab und lässt statt dessen Truppen von Südfrankreich in Richtung Deutschland vorverlegen.

Am 14. März 1936 tritt der Rat des Völkerbunds zusammen, um über den deutschen Bruch des Versailler Vertrages zu befinden. Frankreich fordert, Deutschland wegen der Vertrags-verletzung zu verurteilen. Der britische Vertreter erklärt jedoch :

„Es ist offensichtlich, daß der Einmarsch der deutschen Truppen in das Rheinland eine Verletzung des Versailler Friedensvertrages darstellt. Dennoch stellt diese Aktion keine Bedrohung des Friedens dar und erfordert keinen unmittelbaren Gegenschlag. Zweifellos schwächt die Wiederbesetzung des Rheinlandes die Macht Frankreichs, aber sie schwächt in keiner Weise seine Sicherheit.“

In der Literatur erscheint dieser Vorgang meist als Remilitarisierung des Rheinlands. Dieser Terminus verbirgt, dass es hier letztlich um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands gegen noch immer mögliche Angriffe aus Frankreich und Belgien ging. Immerhin waren 1921 und 1923 französische und belgische Truppen durch diese offene Westgrenze ins Ruhrgebiet und nach Frankfurt am Main marschiert.

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